Causa Kampusch: Nagelprobe im Gerichtssaal

Auftakt im Verfahren gegen Staatsanwälte: Ab heute müssen Mitglieder der Evaluierungskommission in den Zeugenstand.

Natascha Kampusch

Entführungsopfer Kampusch: In Innsbruck könnte der Fall um ein spannendes Kapitel erweitert werden.

Wenn am Donnerstag in Innsbruck ein wichtiger Zeuge vor Gericht seine Unterlagen und Aussagen zum Besten geben darf, dann könnte dies in seiner Folgewirkung das österreichische Justizsystem nachhaltig erschüttern. Johann Rzeszut, ehemaliger Höchstrichter der Republik, wird seine Sicht der Dinge zum Entführungsfall Natascha Kampusch darlegen. Erst durch seine Initiative war neue Bewegung in die rätselhafte Angelegenheit gekommen. Einige Tage nach Rzeszut wird Ludwig Adamovich, Expräsident des Verfassungsgerichtshofes und nunmehriger Rechtsberater von Bundespräsident Heinz Fischer, aussagen.

Das Verfahren

Es handelt sich um ein Verfahren gegen fünf Staatsanwälte wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch, darunter die Oberstaatsanwälte Werner Pleischl und Thomas Mühlbacher. Bemerkenswert: Beide hatten sich zuletzt der neuen Justizministerin Beatrix Karl auffällig genähert. Mühlbacher hat im Standard einen Gastkommentar unter dem Titel "Mit besten Empfehlungen an Beatrix Karl" abgegeben, Pleischl hat ein "konstruktives Gespräch" (so Karl in der ORF -Sendung Hohes Haus) mit der Ministerin geführt.

Die Staatsanwälte gaben sich jedoch vergleichsweise zurückhaltend, als sie zuletzt vom KURIER mit Anfragen betreffend potenzielle Versäumnisse im Fall Kampusch konfrontiert wurden. Pleischl: "Die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden haben sehr umfangreiche Ermittlungen geführt, sind allen Erfolg versprechenden Hinweisen nachgegangen und haben alle Ergebnisse sorgfältig bewertet." Ähnliches erklärte Mühlbachers Anwalt: Allen sinnvollen Ermittlungsansätzen sei nachgegangen worden. Am Ende habe sich der Tatverdacht "dennoch nur gegen einen einzigen Täter (Priklopil; Anm.) gerichtet." Alles weitere seien lediglich "abenteuerliche Verschwörungstheorien."

Nun hat das Gericht in Innsbruck darüber zu befinden, ob sich Pleischl, Mühlbacher und Co. etwas vorzuwerfen haben oder nicht. Sollte die Antwort "Ja" lauten, wird in weiterer Folge wohl auch die Causa Kampusch neu aufgerollt werden.

Die Auffälligkeiten

Es ist ein Fall, der seit 23. August 2006, als die damals 18-jährige Natascha Kampusch rund acht Jahre nach ihrer Entführung wieder auftauchte, für offene Fragen sorgt. Der KURIER verfügt einerseits über aussagekräftige Ermittlungserkenntnisse jener Evaluierungskommission (installiert 2008, um etwaige Ermittlungspannen festzumachen), der die Richter Rzeszut und A damovich angehörten, andererseits über Tonträger und Dokumente des 2010 verstorbenen Chefermittlers Franz Kröll. Bei Auswertung des Gesamten ergeben sich zahlreiche Punkte, die das Verhalten der Staatsanwälte als fragwürdig erscheinen lassen. Die Evaluierungskommission konstatierte jedenfalls schon nach wenigen Wochen "nicht nachvollziehbare und völlig atypische Ermittlungsabläufe auf staatsanwaltschaftlicher Seite", die sich letztlich in folgenden Punkten zusammenfassen lassen:

Wichtige Punkte

1. Trotz der mehrfach vorgetragenen glaubwürdigen Aussagen einer Tatzeugin, wonach eindeutig zwei Täter an der Entführung beteiligt gewesen waren, schrieb Oberstaatsanwalt Pleischl 2008, dass nichts mehr weiter zu veranlassen sei. Das, obwohl er der von Adamovich geleiteten Evaluierungskommission knapp davor zugesichert hatte, es werde aufgrund der Erkenntnisse neue Ermittlungen geben. Trotz Widerstand Pleischls erging ein neuer Ermittlungsauftrag.

2. Im Sommer 2009 gab Pleischl im profil -Interview an, dass die Evaluierungskommission den Aufträgen der Staatsanwaltschaft nicht nachkomme. Gleiches teilte Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft, in Medien mit. Dabei hat die Staatsanwaltschaft nachweislich sechs umfassende Ermittlungsberichte der Kommission (rund 100 Zeugenbefragungen) erhalten.

3. Die Staatsanwaltschaft hat die Verfolgung eines durch die Evaluierungskommission als dringend verdächtig bezeichneten potenziellen Mittäters von Kampusch-Entführer Priklopil nicht vollzogen. Und das, obwohl sich Ernst H. in Dutzende Widersprüche verstrickt hat - in drei umfassenden Telefonaten mit dem KURIER in letzter Zeit ließen sich diese Verdachtsmomente erhärten. Ernst H. war jedoch seltsamerweise niemals von der Justiz einvernommen worden (auch gegen einen verdächtigen, mit H. bekannten hochrangigen Beamten wurde nicht vorgegangen). Die einzige einvernommene Zeugin der Justiz war und blieb in all den Jahren Natascha Kampusch.

4. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits für Dezember 2009 die Pressekonferenz zwecks Einstellung des Verfahrens anberaumt. Auf Einspruch der Evaluierungskommission, man könne doch nicht das Verfahren einstellen, ohne die vereinbarte Gegenüberstellung des Entführungsopfers Kampusch mit der Tatzeugin durchgeführt zu haben, habe die Staatsanwaltschaft gemeint: "Na dann machen wir das halt auch noch." Das Ergebnis war offenbar schon festgestanden. Am 8. Jänner 2010 wurde die Pressekonferenz zur Einstellung und zur Einzeltätertheorie abgehalten. Chefermittler Franz Kröll, der so viele Zeugen befragt hatte und überzeugt war von mehr als einem Täter (er vermutete einen Kinderpornoring hinter dem Fall Kampusch) blieb der Veranstaltung fern. Er konnte und wollte "dieser Farce" (Ex-Höchstrichter Rzeszut) nicht beiwohnen.

Donnerstag 21:30 ist Dr. Rzeszut in Innsbruch jedenfalls noch im Gericht und kontrolliert das tagsüber aufgenommene und transkribierte Protokoll.

KURIER | Erich Vogl, Rainer Fleckl

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